Angela, Erna und Rosenholz

Nachdenkliches über Prachtköpfe und Bürgerkriege

Beitrag von Petra Pau in „Disput“, August 2003

Mit viel Tamtam wurde „Rosenholz“ durch den Medienwald gekarrt. Die Karteien des MfS der DDR waren vermutlich in Wendezeiten zur CIA gelangt. Dort wurden sie bearbeitet und mit dem schönen Namen „Rosenholz“ versehen. Nun sind sie auch hierzulande verfügbar. Es werde weitere Enthüllungen geben, wird allerorten orakelt. Im Osten, aber auch im Westen, denn „Rosenholz“ ist zugleich ein Schlüssel zu anderen Aktenbeständen. So sensationell, wie die „Rosenholz“-Geschichte zum Sommeranfang inszeniert wurde, ist sie allerdings nicht. Im Innenausschuss des Bundestages beschäftigen wir uns seit Jahren mit ihr. Nicht sehr aufklärerisch, aber das war auch nicht zu erwarten.

Die halbe Wahrheit

Marianne Birthler, Chefin der „Gauck“-Behörde, freute sich dennoch: „Erstmals wird es nun gelingen, die Arbeit eines Geheimdienstes vollends offen zu legen.“ Das war auch die Absicht etlicher Bürgerbewegter zum Abschied der DDR - allerdings bestenfalls die halbe. Denn sie strebten nicht nur nach der Wahrheit über das MfS. Sie wollten damit zugleich das Wesen und die Arbeitsweisen aller Geheimdienste enttarnen. Und sie hofften, damit Wiederholungen, wo und wann auch immer, einzuschränken. Von diesen hehren oder naiven Zielen einer Ingrid Köppe oder eines Reinhard Schult ist längst keine Rede mehr, im Gegenteil.

Vor dem Bundesverfassungsgericht wird derzeit verhandelt, ob der „große Lauschangriff“ rechtmäßig ist. Es geht um das staatliche Abhören von Wohnungen. Die PDS hatte ihn im Bundestag strikt abgelehnt - aus Erfahrung klug und grundsätzlich. Spektakulärer war seinerzeit der Rücktritt von Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger (FDP). Sie wollte als Liberale den Einbruch in weitere Bürgerrechte nicht mittragen. Heute gehört sie zu den Klageführenden in Karlsruhe. Für beides verdient sie Respekt.

Aber längst droht neues Ungemach. Die Innenminister beklagen, dass ihre Geheimdienste oft nur sehr umständlich Zugang zu Wohnungen erhalten, um diese mit Abhör-Wanzen zu versehen. Deshalb sollten Schlüsselfirmen, Schornsteinfeger, Hausmeister und andere zivile Dienstleister verpflichtet werden, beim Schnüffeln behilflich zu sein. Noch weiter prescht Bayerns Innenminister Beckstein (CSU) vor. Er will nicht nur Lauschen, sondern auch Gucken lassen. Seine Forderung: Die Videoüberwachung der Privatsphäre müsse endlich legalisiert werden.

Doch damit noch immer nicht genug: CDU und CSU versuchen derzeit, die EU-Osterweiterung für Altgeplantes zu nutzen. Sie wollen den Bundesgrenzschutz hochrüsten, seine Befugnisse ausweiten. Sie stellen noch mehr Menschen unter Pauschalverdacht, ohne Anlass. Sie schüren Misstrauen gegen alle, die nicht deutsch aussehen. Sie fordern militärische Sonderrechte auf Flughäfen und Bahnhöfen. Sie wollen noch mehr überwachen, im Inland und EU-weit. Ergo schloss ich meine 5-Minuten-Rede im Bundestag mit der Frage: „Ist Ihnen schon einmal aufgefallen, dass Sie namens der EU-Ost-Erweiterung Zustände fordern, die gerade Sie zu ›Ost-Block-Zeiten‹ scharf kritisiert haben?“

Ein Pakt mit dem Teufel

„Erna“ wird langsam berühmt. Das „Morgenmagazin“, „Radio 1“ und andere Unterhalter haben inzwischen über sie berichtet. Was wiederum zeigt: Mit Schweinereien kommt man allemal in die Medien. „Erna“ ist eine ungarische Wollsau. Sie lebt im Tierpark Kunsterspring bei Neuruppin. Wollschweine gelten als bedrohte Tiere und ob ihrer rau-roten Haarpracht als besondere Art. Ich bin Ernas Patenfrau. Vor kurzem gebar sie sechs Frischlinge. Als ich mit Obst und frischem Gemüse vorbei kam, da waren es nur noch fünf. Ein Ferkel hatte das Schweineleben nicht überlebt. So ist die Natur.

Die Politik ist härter. „Kommt das Bombodrom, dann verlieren der Tourismus, die Region und wir unsere Chance“, meint der Chef des Tierparks. Seit mehr als zehn Jahren kämpfen Bürgerinitiativen und Anrainer dagegen, dass der einstige Bombenabwurfplatz bei Wittstock für die Bundeswehr und die NATO reaktiviert wird. Doch die Zeichen stehen schlecht - allen früheren SPD-Versprechen zum Hohn. Am 9. Juli 2003 meldeten die Agenturen: Bundesminister Struck hat entschieden, der Militärbetrieb werde wieder aufgenommen.

Der Minister hat entschieden! Am Sonnabend darauf gab es eine Kundgebung in Neuruppin. Ich protestierte auch in Ernas Namen. Und ich erinnerte an den Kampf der Kali-Kumpel in Bischofferode. Auch sie wurden damals verraten und verkauft. Nun droht der Prignitz-Ruppiner Heide dasselbe. Das Bombodrom soll ihr angehängt werden. Doch damit droht die Region vom Bombodrom abgehängt zu werden. Die Debatten über präventive Kriege oder EU-Einsatzkommandos scheinen fern, aber sie kommen oft schneller näher, als geglaubt.

Gleichwohl greifen manche Politiker nach dem letzten Strohhalm. Dem Landstrich geht es schlecht, den Kommunen noch mehr. Also stellen Bürgermeister Notrechnungen an. Sie zählen, wie viele Soldaten in ihre Stadt kommen könnten. Und sie addieren, wie viel Geld sie mitbringen und ausgeben würden. Eine Milchmädchen-Rechnung? Es ist eine Rechnung mit dem Krieg, ein Pakt mit dem Teufel! Auf der Kundgebung rief Wolfgang Gehrcke (PDS-Vorstand) zu „jeder Form zivilen Ungehorsams“ auf. Ein anderer Demonstrant war im Geschichtsschrein fündig. Er hatte eine schwarz-rot-goldene Fahne mit dem Emblem „Schwerter zu Pflugscharen“ mitgebracht.

Ökumene und Neustart

Kurz nach dem außerordentlichen PDS-Parteitag im Berliner Tempodrom hatten wir Besuch. Lothar Bisky kam, um mit uns zu beraten. Es war eine Premiere, seit Gesine und ich als „PDS im Bundestag“ agieren. Für den gescheiterten Vorstand waren wir nicht relevant. Wir schlugen uns durch die aktuellen Probleme. Die alte PDS-Spitze hatte eigene Pläne und selbstgemachte Sorgen. Damit soll nun Schluss sein. „Neustart“ heißt das aktuelle Lösungswort.

Als die innerparteilichen Kontroversen immer ärger wurden, war ich auf göttlichen Abwegen - auf dem ökumenischen Kirchentag, auf Podien, bei Jugendgruppen und inmitten Hunderttausender. Es waren drei Tage intensiver Diskussion, auch über Kapitalismus und Krieg. Es waren drei Tage Disput, ohne Zank. Es waren drei Tage, die gut taten und Mut machten. Deshalb habe ich hernach gesagt: „Die PDS braucht eine eigene Ökumene, die das Verbindende sucht, ohne Widersprüche zu verkleistern.“

War der PDS-Parteitag im Berliner Tempodrom so etwas Ähnliches? „Das Wollen fand zueinander, das Können wird gesucht, eine Klärung steht aus“, so lautet meine Kurzfassung. Das ist mehr als nichts, jedoch nicht viel mehr.

Häufig besuchen uns Jugendgruppen im Reichstag. Sie kommen aus allen Himmelsrichtungen - jüngst aus Bamberg und Aachen. Sie sind neugierig, zuweilen wollen sie auch nur Exoten kennen lernen. Oft ist es ihre erste Berührung mit der PDS. Und so leisten wir als MdB - der Rechnungshof wird es tolerieren - immer auch Partei-Arbeit. PDS-Zoff interessiert sie nicht. Sie wollen einen Einblick, einen Rat, einen Ausbildungsplatz, eine Zukunft.

Das schließt sachliche Kontroversen nicht aus. Als ich jüngst in Hannover bei „Reformlinken“ der PDS-Niedersachsen war, schilderte ich meine Bauch- und Kopfschmerzen am Beispiel „Kongo“. Dort, wie auch anderswo in Afrika, herrschen furchtbare Bürgerkriege. In der aktuellen Auseinandersetzung ging es unter anderem um den Einsatz deutscher Kräfte. Wir haben als „PDS-im-Bundestag“ Nein gesagt. Aber das war nicht leicht. Wir haben mit uns und dem Problem gerungen. Immerhin geht es um Menschenleben, um Millionen.

Lese ich hingegen die E-mails, die uns dazu aus der eigenen Partei erreichten, dann haben wir wohl zwei Fehler gemacht: Wir haben nachgedacht. Und wir haben auch noch offen gesagt, dass wir nachdenken. Also wurden wir übel beschimpft. Das, meine ich, ist die Unkultur, die abstößt, aber leider mitbestimmt, wie die PDS von der Gesellschaft wahrgenommen wird - als Verwalter von Tabus oder als Gestalter von Alternativen, als allwissende Sekte oder als spannendes Angebot.

Begegnung mit Angela

Am 18. Juli 2003 wurde der Philosoph Herbert Marcuse in Berlin auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof beigesetzt. Ganz in der Nähe von Hegel und Fichte, so hatte es seine Familie gewünscht und Berlins Kultursenator Thomas Flierl (PDS) ermöglicht. Herbert Marcuse war 1979 gestorben. Die Geschichte seiner Urne war Stoff zahlreicher Artikel, seine eigene bleibt untrennbar mit der „68er“ Bewegung des vorigen Jahrhunderts verbunden. An der Freien Universität, einer seiner Wirkungsstätten, gab es nun ihm zu Ehren ein Kolloquium. Seine aus den USA nach Berlin gekommene Familie und Freunde wollten außerdem den Reichstag besichtigen. Ich führte die lebensfrohe Gesellschaft durch das geschichtsträchtige Gebäude - und habe dabei viel gelernt.

Tags darauf stand ich mit einem kleinen, aber berühmten Teil meiner eigenen Geschichte auf dem Friedhof - mit Angela Davis. Sie war Marcuses Schülerin, was ich damals noch nicht wusste. Weltbekannt und mir nahe gebracht wurde sie als Bürgerrechtlerin, die in den USA eingekerkert war. Also malte ich, wie viele Pioniere in der DDR, eifrig Solidaritäts-Postkarten und forderte ihre Freiheit. 1973 kam Angela Davis, frei gelassen, zu den Weltfestspielen der Jugend nach Berlin. Wir waren froh und stolz. Ihre große Haarpracht hatte es mir angetan. Ich wollte ihr ähnlich sein. Davon zeugen Fotos. Nun standen wir nebeneinander an Herbert Marcuses letzter Ruhestätte. Es sei keine Zeit der Ruhe, mahnte sein Sohn. Wir sollten „weitermachen“, wie sein Vater, gegen die kapitalistischen Übel. Dazwischen wuselten Ur-Enkel.

Auf Sommer-Tour

„Mission possible“ war die Sommertour des PDS-Vorsitzenden überschrieben - wie auch sonst. Sie führte durch die neuen Bundesländer und begann in Berlin, in Pankow, bei Albatros e.V.

Die zweite Station führte uns ins Wuhletal, also in meinen Heimatbezirk Marzahn-Hellersdorf. Dort müht sich ein Projekt um Wanderwege und andere Aufhübschungen der grünen Lunge - auf den ersten Blick. Dahinter steckt aber auch hier viel mehr. Es geht um die Ausbildung Jugendlicher, um Arbeitsmöglichkeiten, um Fördermittel, um Chancen für einen Bezirk mit rund 300.000 Menschen.

Die Sommertour sollte Augenschein und Ohrenzeugnis bieten: Was bewirkt die aktuelle Politik bei den Betroffenen, und wäre das jüngst vorgestellte Initiativ-Programm-Ost der PDS wirklich die bessere Alternative? Nach dem ersten Tag sprach viel dafür. Die Medien interessierten sich kaum. ddp hatte eine Praktikantin geschickt, das ND niemanden. Dabei ging es um zwei zentrale Probleme: um Arbeit und Gerechtigkeit. Als Wochen zuvor die Ost-Tour des PDS-Vorsitzenden auf einer Pressekonferenz vorgestellt wurde, hieß die einzige Frage: „Wieso nur im Osten, Herr Bisky?“ Sie war berechtigt und zugleich arrogant.

Doch die Tour ging weiter. Als ich am Tag 4 in Sachsen-Anhalt erneut dazu stieß, waren auch Journalisten dabei. Sie wurden so Zeugen eines seltenen Gespräches. Er freue sich wirklich, meinte der US-amerikanische Geschäftsführer, dass endlich auch mal ein Vorsitzender einer großen Partei sein Unternehmen besuche. Wir waren bei der Mibrag in Sachsen-Anhalt, bei der Mitteldeutschen Braunkohle AG. Mit 2.000 Beschäftigten gehört sie zu den Riesen in der Region. Nicht zu vergessen die 100 Lehrstellen jährlich, die hier zu haben sind. Ich hatte meine persönliche Retrospektive. Denn während meines Studiums war ich hier im Arbeitseinsatz.

Lothar umschiffte die vor Ort wohl bekannten Konflikte diplomatisch, mal auf Englisch, mal auf Deutsch. Aber sie sind da, und sie schwelen auch innerhalb der PDS. Einerseits haben wir klare ökologische Positionen, und die sprechen gegen die Braunkohle, für regenerative Energie, zu Recht. Anderseits schafft die Kohle noch immer bezahlte Arbeit in einer arbeitslosen und hoffnungsarmen Region. Außerdem frisst die Braunkohleförderung Landschaft und Dörfer. Dagegen hat sich die PDS immer gewehrt. Aber es gibt auch "Mibrag-Umsiedler", deren neue Heimstatt Kultur-Häuser und Kindergärten hat. Eine soziale Infrastruktur, die anderswo abgewickelt wird, weil das Land und die Kommunen ob der rot-grünen Steuerpolitik im Bund verarmen.
 

 

 

3.9.2003
www.petra-pau.de

 

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