Fünf fatale Fehler

Empfang der Parlamentariergruppe USA - Deutschland
Berlin, 25. März 2013
Rede von Petra Pau

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Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen,
 
Im Namen des Deutschen Bundestages begrüße ich Sie.
Und natürlich wünsche ich Ihnen konstruktive Gespräche.
 
Nun bin ich gebeten worden, ausnahmsweise nicht zu den Parlamentsbeziehungen beider Länder zu sprechen.
 
Insbesondere die Abgeordneten aus den USA wünschten sich von mir Informationen über die NSU-Nazi-Mordserie, wurde mir übermittelt.
 
Das will ich versuchen, ohne dem Ergebnis der Untersuchungen vorzugreifen, und als Vizepräsidentin natürlich überparteilich.

1. 

einige Fakten:
 
Am 4. November 2011 wurde publik, dass ein Nazi-Trio zehn Menschen umgebracht hat.
Hinzu kommen Sprengstoffattentate und Banküberfälle.
Die Opfer waren vor allem Migranten in Deutschland.
 
Die drei Täter, zwei Männer und eine Frau, waren 1998 untergetaucht, damals im Alter zwischen 21 und 24 Jahren. Sie agierten 13 Jahre lang unerkannt und unbehelligt. Jedenfalls ist das die offizielle Version.
 
Eine solche ungelöste Tat-Serie aus rassistischen Motiven hatte es vordem in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland nicht gegeben. Chefs von Sicherheitsbehörden räumten Total-Versagen ein.
 
Das Nazi-Trio hatte sich selbst den Namen „Nationalsozialistischer Untergrund“; gegeben, kurz NSU. „Nationalsozialistisch“ ist ein Verweis auf die NSDAP, also die faschistische Partei Adolf Hitlers bis 1945.
 
Das Trio mordete und raubte in den Bundesländern Baden-Württemberg, Bayern, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern und Nordrhein-Westfalen. Sie kamen aus Thüringen und sie versteckten sich in Sachsen.
 
Als Nazi-Mord-Trio wurden sie nie ermittelt. Gestellt wurden sie im November 2011 nach einem weiteren Banküberfall in Thüringen. Die beiden Hauptäter, Böhnhardt und Mundlos, richteten sich danach selbst.
 
Stunden später sprengte die dritte im Bunde, Zschäpe, das Haus ihrer gemeinsamen Wohnung in Sachsen. Danach wurde klar, um wen es sich bei den toten Bankräubern wirklich handelte: um eine Nazi-Teror-Zelle.
 
Soweit in aller Kürze wesentliche Fakten.
 
Seither versuchen parlamentarische Untersuchungsausschüsse, das Desaster zu erhellen: Im Bundestag und in den Bundesländern Bayern, Sachsen und Thüringen. Ich arbeite im Bundestagsausschuss mit.

2. 

Was wird untersucht?
 
Wir wollen wissen, warum alle Aktivitäten der Sicherheits- und Ermittlungsbehörden ins Leere liefen. Und warum die rechtsextreme Gefahr so lange, so gründlich und so tödlich unterschätzt wurde.
 
Bei alledem muss man wissen: Die Bundesrepublik Deutschland ist eine föderale Republik. Strafvereitelung und Strafermittlungen sind daher vornehmlich Ländersache. Das ist zum Teil anders als in den USA.
 
Das ist aber auch eine Lehre aus der deutschen NS-Zeit 1933 bis 1945. Damals bestimmte eine Reichsregierung politisch allein herrschend und hatte zudem maximale Durchgriffs-Rechte in alle Bundesländer.
 
Praktisch allerdings heißt das im NSU-Fall: An der Fahndung und an den Tatermittlungen waren 21 Behörden beteiligt, in den Bundesländern und im Bund. Die Kooperation untereinander war offenbar katastrophal.
 
Die Kompaktheit der Mordserie war einmalig. Aber ich ordne sie ein.
 
Bevor das Trio im Jahr 2000 sein erstes Opfer hinrichtete, waren im vereinten Deutschland seit 1990 bereits 105 Menschen aus rassistischen Gründen ermordet worden: erschlagen, erschossen, verbrannt.
 
Rassismus gab es immer, in der Alt-BRD ebenso wie in der DDR. Mal verdeckt, mal offen, oft von Staats wegen. Sie können da ihre eigenen Parallen zur USA ziehen. Rassismus bleibt menschenfeindlich.
 
Für mich neu war, dass Nazis in den 1990er Jahren eine deutsche Sektion des Ku-Klux-Klan aufgebaut hatten. Zum Kern gehörten auch Beamte deutscher Sicherheitsbehörden. Das gehört zu den Skandalen.
 
Vor Jahresfrist gab es einen Staatsakt mit den und für die Angehörigen der NSU-Opfer. Bundeskanzlerin Angela Merkel entschuldigte sich und versprach bedingungslose Aufklärung. Die Praxis ist widersprüchlicher.

3. 

Was waren die entscheidenden Fehler?
 
Erstens: Der Rechtsstaat hat versagt.
 
Der Rechtsstaat hat zwei vornehmliche Aufgaben. Er hat seine Bürgerinnen und Bürger vor Straftaten, allemal vor Mord zu schützen. Sollte ihm das, warum auch immer, nicht gelingen, so hat er die Straftat aufzuklären, die Täter zu ermitteln und gemäß Gesetz zu bestrafen. Beides geschah nicht.
 
Zweitens: Die militante Nazi-Szene wurde unterschätzt.
 
Die deutsche Nazi-Szene ist vernetzt, europaweit, auch in die USA hinein und bis nach Südafrika. Pläne zur Bewaffnung und zu Terror-Anschlägen wurden längst international debattiert und auch praktiziert. Die deutschen Sicherheitsbehörden hatten das nahezu komplett ausgeblendet.
 
Drittens: Die Ermittlungen trugen rassistische Züge.
 
Bei neun Morden und zwei Bombenanschläge waren vor allem Menschen mit türkischen Wurzeln betroffen. Ein rassistischer Hintergrund lag nahe. Ermittelt aber wurde im Umfeld der Opfer. Ihnen wurde organisierte Kriminalität unterstellt. So wurden aus Betroffenen Täter gemacht.
 
Viertens: Die Geheimdienste führten ein Eigenleben.
 
Die Inlandsgeheimdienste, die Ämter für Verfassungsschutz, hatten zahlreiche Informationen, die zu dem Nazi-Trio hätten führen können. Aber sie wurden nie angemessen analysiert und vor allem wurden sie gegenüber den ermittelnden Kriminalämtern geheim gehalten. Das gilt als regelgerecht.
 
Fünftens: Eine Nazi-Mord-Serie passte nicht ins deutsche Image.
 
Kurze Zeit, 2006, gingen Ermittler von einem rassistischen Motiv und von rechtsextremen Tätern aus. Öffentlich wurde diese Annahme unterdrückt. In Deutschland fand damals die Fußball-Weltmeisterschaft statt. Ihr Motto: "Die Welt zu Gast bei Freunden!" Dieses Bild sollte nicht gestört werden.

4. 

Schlussbemerkungen
 
Das war ein grober Überblick. Die ganze Tragödie ist widersprüchlicher und vielfätiger. Dazu gehört auch, dass Sicherheitsbehörden noch zahlreiche Akten mit NSU-Bezügen vernichteten, nachdem wir unsere Ermittlungen aufgenommen hatten. Das nährt Verschwörungstheorien.
 
Zu den Problemen, die mich umtreiben, gehört auch: Die Mordserie war rassitisch motiviert und die Ermittlungen trugen ob ihrer Einseitigkeit ebenfalls rassistische Züge. Trotzdem gibt es weder eine politische, noch eine gesellschaftliche Debatte über Rassismus in Deutschland.
 
Ich will dennoch mit zwei positiven Aspekten enden. Erstens: Es gibt zahlreiche gesellschaftliche Initiativen, die sich gegen Rassismus, für Demokratie und Toleranz engagieren. Und es gibt keinen Neo-Nazi-Aufmarsch, der nicht auf antifaschistischen Widerstand trifft.
 
Und es gibt ein Novum. Untersuchungsausschüsse gelten gemeinhin als schärfste Waffe der Opposition gegen die Regierungskoalition. Im NSU-Untersuchungsausschuss des Bundestages ist das bislang anders. Hier arbeiten alle sachlich zusammen, von CDU/CSU bis LINKE.
 
Grundsätzlich meine ich: An einem Punkt sollte jede parteipolitische Profilierung gegeneinander enden, beim Kampf Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus. Zur Erinnerung: Hitlers NSDAP kam seinerzeit nur an die Macht, weil die Demokraten zu zerstitten waren.
 
Die Bundesrepublik Deutschland hat nichts mit dem faschistischen Deutschland 1933 bis 1945 gemein. Sie ist - per Grundgesetz - ein Gegenentwurf. Aber die Mahnung - „wehret den Anfängen“ - war nie falsch. Deshalb untersuchen wir und dafür engagiere auch ich mich.
 

 

 

25.3.2013
www.petra-pau.de

 

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