IM WORTLAUT

DIE FRAKTION IN DEN MEDIEN

„Schmutzfüße“

14. April 2013

Petra Pau, für DIE LINKE Obfrau im NSU-Untersuchungsausschuss, mit einem Ausblick auf die Anhörungen dieser Woche, über V-Leute als vom Staat gekaufte Täter, über Erkenntnisse, die der Verfassungsschutz für sich behielt und damit eine Verhaftung des NSU-Trios unmöglich machte

Es gibt einen Rhythmuswechsel im Untersuchungsausschuss, warum?

Petra Pau
Bisher haben wir Donnerstag und Freitag getagt, nunmehr montags und donnerstags. So können wir Ausschussmitglieder wenigstens am Freitag wieder verstärkt am Plenargeschehen teilnehmen.

Worum geht es am 15. April?

Thema ist die V-Leute-Praxis der Sicherheitsbehörden, exemplarisch am Beispiel des Brandenburger Verfassungsschutzes.

V-Leute seien „Schmutzfüße“, die man dennoch brauche, hatte der neue Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz Dr. Maaßen jüngst auf einem Podium der Fraktion DIE LINKE gesagt.

„Schmutzfüße“ ist höchst verharmlosend. V-Leute sind vom Staat gekaufte Spitzel und bezahlte Täter, durch und durch Nazis.

Ich bitte um ein Beispiel.

Carsten Szczepanski wuchs in Berlin-West auf, Neukölln, und zog nach der deutschen Einheit nach Königs-Wusterhausen um. Als militanter Nazi machte er sich bald weit über die Mark Brandenburg hinaus einen Namen.

Was geht auf sein Konto?

1992 hatte er gemeinsam mit weiteren Nazis versucht, einen Nigerianer zu ermorden. Sie schlugen ihn halbtot und wollten ihn final im Scharmützelsee ertränken. Ihr Opfer überlebte nur durch das beherzte Eingreifen anderer.

Szczepanski wurde angeklagt...

...und wegen versuchten Mordes verurteilt. Das war zugleich der Beginn seiner V-Mann-Karriere als „Piato“ beim Verfassungsschutz.

Im Knast?

Ja, er bekam alsbald Ausgang und wurde verlässlich zu Nazi-Treffs chauffiert. In der Justizvollzugsanstalt produzierte er eine Zeitung, die in der Naziszene großen Anklang fand. Sie wurde, nach allem, was wir wissen, sogar dort gedruckt.

Ohne, dass der Verfassungsschutz davon etwas mitbekam?

Das ist kaum anzunehmen. Nein, man wusste das.

Wie ging es mit ihm weiter?

V-Mann „Piato“ wurde ein Praktikum verschafft und eine Festanstellung in Aussicht gestellt. Beides brachte Pluspunkte für eine positive Sozialprognose vor Gericht. Er kam vorzeitig mit der richterlichen Auflage frei, sich fürderhin von der Nazi-Szene fernzuhalten.

Was hat das alles mit der NSU-Nazi-Mordserie zu tun?

Dem Gericht wurden damals ein paar Kleinigkeiten unterschlagen. Das angeblich so erfolgreiche Praktikum hatte „Piato“ nämlich in einem Nazi-Szene-Laden in Sachsen absolviert. Und seine mögliche Festanstellung sollte er in einer neuen Filiale dieses Hassladens im Raum Berlin-Brandenburg erhalten.

Auch das wusste der Verfassungsschutz?

Das machte „Piato“ für den Geheimdienst erst wertvoll. Aber ich habe die NSU-Frage noch nicht beantwortet...

...stimmt, bitte

Die Inhaberin des Szeneladens in Sachsen, eine weithin bekannte Nazi-Frau, hatte NSU-Zschäpe ihren Pass überlassen, damit diese aus dem Untergrund heraus mit einer fremden Identität agieren konnte.

Das wusste der Verfassungsschutz auch?

Das und mehr. Man wusste, dass das NSU-Trio sich wahrscheinlich in Sachsen aufhalte, dass es Waffen brauche und dass es weitere Überfälle plane.

Dank „Piato“...

...auch von ihm.

Warum hat man das NSU-Trio dennoch nicht gefasst?

Letztlich, weil der Verfassungsschutz verhinderte, dass seine Erkenntnisse den ermittelnden Kriminalbehörden übermittelt werden. Das Geheime musste geheim bleiben. Man könnte es auch abschottende Inzucht nennen.

Heißt das, anderenfalls hätte die NSU-Bande geschnappt und eine Mordserie verhindert werden können?

Das ist Spekulation, aber eine naheliegende.

In einer aktuellen Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Fraktion DIE LINKE heißt es allerdings: „...begangene Straftaten und die daraus folgende Verurteilung eines Rechtsextremisten (stehen) einer vertrauensvollen und verlässlichen Zusammenarbeit grundsätzlich im Wege, was sowohl eine Werbung, aber auch eine weitere Zusammenarbeit ausschließt.“

Diese Behauptung galt ausschließlich dem Bundesamt für Verfassungsschutz. Aber selbst das klang bei Dr. Maaßen anders. Auch deshalb fordert DIE LINKE: Die gesamte V-Leute-Praxis ist sofort zu beenden. Und alle Ämter für Verfassungsschutz sind als Geheimdienste aufzulösen.

Kurz noch zur Donnerstags-Sitzung des Untersuchungsausschusses...

...in den Fokus rückt Baden-Württemberg. In Heilbronn wurde die Polizistin Michele Kiesewetter ermordet. Gefahndet wurde nach kriminellen „Zigeunern“. Außerdem waren Polizisten des Landes Mitglieder der deutschen Sektion des rassistischen Ku-Klux-Klans. Sie blieben übrigens Polizisten. Und auch in Baden-Württemberg spielte der Verfassungsschutz eine zwielichtige Rolle.

Was erwartest Du?

Nehmen wir mal naiv an, die neue grün-rote Landesregierung sei von bedingungsloser Aufklärung beseelt. Donnerstagabend sind wir klüger.

Interview: Rainer Brandt

linksfraktion.de, 14. April 2013

 

 

14.4.2013
www.petra-pau.de

 

Übersicht
Bundestag

 

 

Lesbares

 

Seitenanfang

 

Startseite