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DIE FRAKTION IN DEN MEDIEN

Bislang war die NSU-Nazi-Mordserie einmalig

19. Mai 2013

Der Untersuchungsausschuss des Bundestages, der die NSU-Mordserie aufklären soll, hat die Beweisaufnahme beendet. LINKE-Obfrau Petra Pau erläutert, warum es jetzt um weit mehr geht als die Erarbeitung eines Abschlussberichtes.

Der Ausschuss des Bundestages zur NSU-Nazi-Mordserie hat seine Untersuchungen abgeschlossen. Was nun?

Petra Pau
Der Untersuchungsausschuss hat noch einen Abschlussbericht zu erarbeiten. Darüber soll am 3. September 2013, also noch vor der Wahl eines neuen Bundestages, im Plenum diskutiert werden.

Der Ausschuss hat den Sicherheitsbehörden Totalversagen attestiert. Was ist von dem Bericht noch zu erwarten?

Er wird über tausend Seiten mit vier Teilen haben. Ein Feststellungskapitel, in dem beschrieben wird, was wir untersucht haben. Ein Bewertungskapitel, das parteiübergreifend sehr kritisch ausfallen wird. Ein Empfehlungskapitel, was politisch, rechtlich und praktisch verändert werden sollte. Und ein Ergänzungskapitel, in dem jede Fraktion darstellt, was sie über den Ausschusskonsens hinaus anders einschätzt und vorschlägt.

So viel betonte und gelobte Gemeinsamkeit von CDU bis LINKE klingt irgendwie seltsam?

Es gab ein anderes Agieren, als in bisherigen Untersuchungsausschüssen. Normalerweise gelten Untersuchungsausschüsse als die Hauptwaffe der Opposition gegen die Koalition. Entsprechend scharf und unsachlich wird dann gegeneinander agiert, nach dem Motto: Haust du meinen CDU-Minister, schlage ich deinen SPD-Minister und so weiter.

Das fand diesmal nicht statt, wieso?

Dafür gibt es verschiedene Gründe. Sie liegen auch in den Persönlichkeiten der Ausschussmitglieder. Aber es gibt einen weitergehenden.

Nämlich welcher?

Wir hatten es mit einer bislang einzigartigen rechtsterroristischen Mord-, Anschlags- und Raubserie zu tun, bei der der Rechtsstaat komplett versagt hat. Die Taten waren rassistisch motiviert. Die Ermittlungen trugen ebenfalls rassistische Züge. Die Politik, aber auch alle Sicherheitsbehörden haben sich selbst diskreditiert.

Sagen die Betroffenen...

...zu Recht. Und nicht nur sie. Ein rassistisches Motiv der Serie und Neonazis als Täter wurden von Staats wegen nahezu komplett ausgeschlossen. Die Angehörigen der Opfer wurden jahrelang als mutmaßliche Täter verdächtigt und verfolgt. Schlimmer und auch ehrverletzender kann man nicht daneben liegen.

Aber das kennt man doch als erfahrene Linke, oder?

Die weitergehende Frage ist, wie man prinzipiell zum Rechtsstaat steht. Er ist historisch eine positive Antwort auf Selbstjustiz und Rechtlosigkeit. Deshalb muss man ihn verteidigen und verbessern.

Was hat das mit dem Untersuchungsausschuss zu tun?

Der Rechtsstaat hat die NSU-Opfer nicht geschützt und den Angehörigen bislang nicht zum Recht verholfen. Wenn die Betroffenen überhaupt noch Hoffnungen hegen, dann in den Untersuchungsausschuss.

Und das war Ihre Klammer?

Ja, beides: Wir haben uns von Anfang an die Opferperspektive zueigen gemacht, und wir waren uns ebenso einig: Der Rechtsstaat gilt für alle oder für niemanden. Dieses Band zwischen den Obleuten von der CDU/CSU bis zur LINKEN hielt bislang und es wird im Ausschuss auch halten.

Oh je, eine LINKE im Bunde mit der CDU/CSU?

Diesen rein ideologischen Vorwurf dürfte es umgekehrt bei Teilen der CDU/CSU auch geben. Ich hoffe nur, er schlägt bei der abschließenden Plenardebatte nicht durch - bei keiner Fraktion.

Bei welchen Fragen scheiden sich die Geister?

ch nehme mal die größte Differenz. Von der CSU bis hinein in die Grünen glaubt man, der zentrale Versager beim NSU-Desaster, nämlich der Verfassungsschutz, lasse sich reformieren und besser kontrollieren. DIE LINKE bleibt dabei: Die unsägliche V-Leute-Kumpanei des Staates mit Nazis ist sofort zu beenden und die Ämter für Verfassungsschutz sind als Geheimdienste aufzulösen.

Die Innenminister wollen sich gerade auf neue Regeln zur die Führung von V-Leuten einigen.

Auch das ist Augenwischerei. Will ein Geheimdienst harte Informationen aus der Naziszene erhalten, dann muss er mit Hardcorenazis kooperieren - kurzum: mit Verbrechern. So, wie der Brandenburger Verfassungsschutz es mit „Piatto“ tat, einem wegen versuchten Mordes verurteilten Neonazi. Und dann kommt Problem zwei. Selbst wenn der Verfassungsschutz dadurch Hinweise bekam, dann behielt er sie für sich, um seine geheime „Quelle“ nicht zu offenbaren. Genutzt hat dies alles letztlich nur der Naziszene, einschließlich NSU-Bande, die man vorgeblich bekämpfen wollte.

Worin gibt es im Ausschuss Übereinstimmungen?

Zwischen SPD, LINKEN und Grünen wohl in der Frage, dass gesellschaftliches Engagement gegen Rechtsextremismus nicht länger von Staats wegen kriminalisiert werden darf, sondern endlich verlässlich gefördert werden muss. Ob die Union und die FDP ebenfalls entsprechenden Empfehlungen folgen, wird sich zeigen.

Vor nunmehr eineinhalb Jahren, am 4. November 2011, war die Nazi-Bande aufgeflogen. Danach wurde das ganze NSU-Desaster offenbar. Was hat sich seither verändert?

Tatsächlich so gut wie nichts. Alle Aktivitäten des Bundesinnenministers erweisen sich bei genauem Hinsehen als brotloser Aktivismus. Und die für Prävention zuständige Familienministerin schweigt beredt.

Bei den Untersuchungen ging es vor allem um Tatorte, um Ermittlungen, um die so genannte Sicherheitsarchitektur. Von Prävention gegen Rechtsextremismus und Rassismus war kaum die Rede.

Die Expertenanhörung am Ende unserer Untersuchungen hat mich bestätigt. Es fehlt an einer fundierten wissenschaftlichen Analyse zum gesellschaftlichen Problem Rassismus, ebenso zum Rechtsextremismus. Und es mangelt an einer politischen Koordinierung von allem nötigen Engagement und aller Initiativen dagegen.

Das alles klingt nun wieder mehr nach Anfang, als nach Abschluss?

Richtig. Der Untersuchungsausschuss wird Vorschläge unterbreiten, sachliche und dringende, wie wir finden. Es liegt an den politisch und fachlich Verantwortlichen, sie umzusetzen. Und über allem schwebt die Drohung: Bislang war die NSU-Nazi-Mordserie einmalig...

Danke auch für diese Einschätzungen.

Ich danke. Wir Abgeordneten waren ja gelegentlich im Fernsehen zu sehen, quasi als Gesicht des Ausschusses, unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter hingegen nicht. Sie haben unglaublich engagiert im Hintergrund gearbeitet und das als Tag und Nacht verlässliches Team.

Interview: Rainer Brandt

linksfraktion.de, 19. Mai 2013

 

 

19.5.2013
www.petra-pau.de

 

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